Psychotherapie kann seelisches Leiden mildern oder heilen oder die Folgen von seelischem Leiden mildern.
In meinem Verständnis von seelischer Erkrankung beziehe ich mich im wesentlichen auf das Menschenbild Carl Gustav Jungs, methodisch auf Werkzeuge der analytischen Psychologie und der systemischen Therapie.
Jeder Mensch ist einmalig und hat ein eigenes Potential – und damit auch einen individuellen Lebensauftrag zu verwirklichen. Diese Verwirklichung gelingt oft aus bestimmten Gründen nicht oder zu wenig und daraus kann seelisches Leid bis zur psychischen Erkrankung resultieren.
Jeder Mensch ist im großen Ganzen enthalten und daher in der Tiefe gesundheitsfähig. Krank und gesund sind dabei gesellschaftliche Zuordnungen, gesund sein heißt für mich: sich selbst bejahen können mit seinen Eigenheiten, mit den eigenen Stärken und Schwächen. Nur – oft haben wir keinen Zugang zu diesem tieferen Grund, aus dem heraus wir das Bejaht-sein fühlen und wissen.
Psychotherapie versucht, den Zugang zu der eigenen Tiefe (gegebenenfalls wieder) zu erschließen und damit Einschränkungen der individuellen Wahrnehmungs- oder Handlungsmuster zu erweitern – damit die Selbstbejahung wieder gelingt.
Diese Form der Psychotherapie wird in Deutschland „tiefenpsychologisch fundiert“ bzw. „analytisch“ , in Österreich als „analytische Psychotherapie“ bezeichnet. Sie geschieht im Dialog, manchmal unter Hinzunahme von kreativen Übungen.
Ein Text von R. M. Rilke beschreibt die menschliche Situation so:
„Wir müssen unser Dasein so weit, als es irgend geht, annehmen; alles, auch das Unerhörte, muß darin möglich sein. Das ist im Grunde der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufklärbarsten, das uns begegnen kann. Daß die Menschen in diesem Sinne feige waren, hat dem Leben unendlichen Schaden getan; die Erlebnisse, die man ‚Erscheinungen‘ nennt, die ganze sogenannte ‚Geisterwelt‘, der Tod, alle diese uns so anverwandten Dinge, sind durch die tägliche Abwehr aus dem Leben so sehr hinausgedrängt worden, daß die Sinne, mit denen wir sie fassen könnten, verkümmert sind.“
In: „Briefe“, 1904